Parsifal / Staatsoper Sofia: Premiere 4. Juli und Derniere 10. Juli 2017
(P. Reichl, dzt. Sofia)
Auch 134 Jahre nach dem Tod Richard Wagners gibt es noch bemerkenswerte weisse Flecken auf den Landkarten seiner Rezeption, und ebenso bemerkenswerte Unterfangen, dies zu ändern. In Bulgarien, diesem wunderbaren Land auf dem Balkan, das uns so viele herrliche Stimmen geschenkt hat, ist es vor allem dem Enthusiasmus des Intendanten der Staatsoper Sofia, Prof. Plamen Kartaloff, zu verdanken, dass die hier bestehenden Lücken seit 2010 sukzessive geschlossen werden. Nach einem kompletten Ring-Zyklus und dem letztjährigen Tristan – Produktionen, die nach und nach auch ihren Weg ins Ausland finden – stand jetzt also Parsifal, das opus summum des Bayreuther Meisters, als bulgarische Erstaufführung auf dem Programm, und verzeichnete in der wohldurchdachten, weitgehend von szenischer Abstraktion und aufmerksamer Personenführung geprägten Inszenierung des Hausherrn einen umjubelten Erfolg.
Hierbei ist zunächst die Umsicht und Akribie bemerkenswert, mit der die Sänger, Chöre und Orchester (allesamt bulgarische Kräfte), sowie auch das Publikum auf das bislang „unerhörte Werk“ vorbereitet wurden. Nicht nur, dass mit Constantin Trinks wie schon beim Tristan einer der wohl vielversprechendsten Wagner-Dirigenten der jungen Generation als musikalischer Leiter verpflichtet wurde, stellte man ihm für die Einstudierung wiederum niemand geringeren als Richard Trimborn zur Seite, während langer Jahre als kundiger Studienleiter an der Bayerischen Staatsoper München die rechte Hand legendärer Pultgrössen wie Wolfgang Sawallisch oder Carlos Kleiber. Umrahmt wurde die Premierenserie von Einführungs- und Vortragsveranstaltungen, z.B. mit dem renommierten Basler Anthroposophen Thomas Meyer; zudem war ein grösserer Ausschnitt des Werks, nämlich Vorspiel plus Gralsszene aus dem 1. Akt, bereits vor einem halben Jahr im Rahmen der hochkarätigen Silvestergala (!) zu sehen und zu hören. Und was da bereits in halbszenischer Version (mit dem Orchester auf der Bühne) aufhorchen liess, hat sich durch die kontinuierliche Arbeit seither zu einem Ereignis entwickelt, welches das Publikum schon bei der Premiere am 4. Juli sichtlich begeisterte und bei der am 10. Juli nochmals besuchten Vorstellung nach nochmaliger Leistungssteigerung aller Beteiligten den Besucher tief bewegt zurückliess.
Hierbei ist zunächst einmal das Orchester hervorzuheben – es bot eine schlichtweg formidable Leistung, schon innerhalb weniger Takte tief in die Wagnersche Klangwelt eintauchend und fortan mit nimmermüdem Einsatz die vielfältigen Schattierungen und Übergänge dieses Meisterwerks zu klingendem Erleben formend. Bereits die ungewöhnlich sauber intonierenden Flöten am ersterbenden Ende des sog. Liebesmahlmotivs – eine notorisch problematische Stelle – liessen für den Rest des Abends viel erwarten, und die Zuhörer wurden nicht enttäuscht. Constantin Trinks schlug durchwegs ausgewogene Tempi an, und so gelang ihm über die gesamten gut vier Stunden Spielzeit eine sehr ausbalancierte Wiedergabe, bei der er grössten Wert auf die Durchhörbarkeit der instrumentalen Textur legte, dadurch niemals die Sänger zudeckte und doch die nötigen Akzente zu setzen wusste, um schliesslich im richtigen Moment, vor allem in den Verwandlungsmusiken oder auch am stürmischen Beginn des 2. Aktes, das Orchester auch einmal von der Leine zu lassen und zu grossen dynamischen Aufschwüngen zu führen. Eine reife Leistung, die gespannt macht auf die von ihm geleitete „Ring“-Adaptation im Theater an der Wien Ende dieses Jahres. Und die bei der Vorstellung am 10. Juli sogar noch übertroffen wurde: hier durften wir eine noch souveränere und geschlossenere Wiedergabe erleben, bei der das gesamte Orchester wiederum spürbar von Anfang bis Ende mit ganzem Herzblut bei der Sache war, und nicht zuletzt auch die mystischen Momente der Partitur, speziell im letzten Akt, zum Ereignis gerieten.
Seitens der Solisten wussten am Premierenabend vor allem die tieferen Männerstimmen restlos zu überzeugen. Angel Hristov als Gurnemanz begann eher introvertiert, gestaltete die grosse Erzählung im 1. Akt aber ausgesprochen kurzweilig und zeigte spätestens bei der Erwähnung von „des siegreichen Geschlechtes Herrn“, über welch prächtiges Material er verfügt. Im 3. Akt dann lief er zu wahrer Hochform auf, kraftvoll und doch von wunderbarer Innigkeit in den langen Phrasen des Karfreitagszaubers – eine der grossen Stützen dieses denkwürdigen Abends. Im Gegensatz zu diesem eher intellektuell geprägten Ansatz stellte Nikolay Petrov die väterlich-sorgende Seite des Gralshüters in den Mittelpunkt seiner Interpretation am 10. Juli. Sein ausladender Bass ist den langen Phrasen mühelos gewachsen und verschmilzt stellenweise wunderbar mit dem Orchester; dagegen fallen gelegentliche Unstetheiten in der Stimmgebung kaum ins Gewicht. Prachtvoll das schwierige hohe E bei „entnimm nun seinem Haupt“, und schliesslich ein Karfreitagszauber als reiner Genuss.
Titurel, sein alter Waffenherr, wurde beide Male von Petar Buchkov verkörpert. Weniger dem Grab entstiegen als vielmehr rüstiger Pensionist, orgelte er seine wenigen Stellen in überzeugender Manier, um seinem Sohn ein letztes Mal anständig die Leviten zu lesen.
Atanas Mladenov, als Amfortas einziger Protagonist in dieser Serie ohne Alternativbesetzung, feierte am Premierenabend wohl den grössten Erfolg unter den Solisten. Eigentlich ein Kavalierbariton feinster italienischer Prägung, mit unfehlbarer Technik, herrlichem Legato und deutlichster Aussprache begabt, verfügt er aber auch über die nötigen Reserven, um an den neuralgischen Stellen („Erbarmen!“) der orchestralen Wucht erfolgreich Paroli zu bieten, und ist zudem als Darsteller von begnadetem Charisma. Angesichts seines jugendlichen Alters können wir von ihm sowohl im italienischen als auch im deutschen Fach noch Grosses erwarten. Denn genauso muss man sich wohl vorstellen, was Wagner unter „deutschem Belcanto“ versteht, wenn er in seinen Bemerkungen „Über die Aufführung des Tannhäuser“ schreibt: „In meiner Oper besteht kein Unterschied zwischen sogenannten ‚deklamierten‘ und ‚gesungenen‘ Phrasen, sondern meine Deklamation ist zugleich Gesang, und mein Gesang Deklamation.“ Eine Woche und drei Vorstellungen später (man bedenke: viermal Amfortas binnen sieben Tagen – welch eine Leistung allein das!!) dann die Überraschung: die Stimme blühte noch mehr auf, die Phrasierung geriet noch runder, die Darstellung noch eindringlicher als beim ersten Mal. Unmöglich, vom Schicksal dieses Gralskönigs kaltgelassen zu werden!
Mächtig auftrumpfend sodann der Bariton von Biser Georgiev, Meisterschüler des vor wenigen Monaten leider verstorbenen grossen Baritons Stoyan Popov. Sein Klingsor beeindruckte mit nie ermüdender Kraft in den klangvollen Höhen sowie intensiver Deklamation in der Mittellage. Noch runder dann seine Leistung am 10. Juli – mit herrischem Aplomb und ebensolcher vokaler Autorität ausgestattet war keine Sekunde daran zu zweifeln, dass er einen mehr als ernsthaften Gegenspieler zur Gralswelt darstellt. Eine ausgezeichnete Leistung.
Dem Parsifal verlieh Kostadin Andreev in der Premiere beeindruckende heldische Töne, wobei allerdings manche Nuance doch zu kurz kam. Erst im 3. Akt besann sich der vielbewährte und vielgeliebte Tenor auch seiner lyrischen Qualitäten, und siehe da, plötzlich zeigte seine Stimme die Wärme, die man vorher hin und wieder vermisst hatte. In jedem Fall immer wieder überwältigend ist bei diesem Sänger die Inbrunst, mit der er sich in seine Rollengestaltung wirft – dass er jedesmal um sein Leben zu singen scheint ist da beinahe noch untertrieben. Demgegenüber blieb Martin Iliev am 10. Juli gesanglich von Anfang an ganz auf Linie, ein echter Heldentenor auch er, beeindruckend durch seine stimmliche Potenz wie auch intelligente Rollengestaltung, und zugleich im zweiten Akt ein gehöriges Mass an Leidenschaft an den Tag legend. Wohl dem Haus, das gleich zwei solche tenoralen Kaliber in seinem Ensemble hat!
Womit wir schliesslich bei der Kundry wären, jener rätselhaftesten aller Frauengestalten in Wagners Kosmos. Radostina Nikolaeva begann die Premiere etwas zurückhaltend, aber spätestens im zweiten Akt war von übergrossem Respekt gegenüber der Partie nichts mehr zu spüren, und nach dem berüchtigten Mehr-als-zwei-Oktaven-Sprung bei „und lachte“ legte sie endgültig alle Vorsicht beiseite, riskierte Höhe um Höhe – und gewann, bis hin zu einem Fluch, der unter die Haut ging. Damit einhergehend intensivierte sich ihre Darstellung – aus der noch etwas harmlos wirkenden Verführerin, die ihren Helden mit Andeutungen indischer Tanzgesten nicht wirklich zu beeindrucken wusste, erwuchs die grosse geläuterte Persönlichkeit, welche zu den letzten Takten des dritten Aktes mit nobler Grandezza über die Bühne schritt, um als letzte vor dem Mysterium des Grals auf die Knie zu fallen. Dieser Leistung stand am 10. Juli Gergana Rusekova in keinster Weise nach. Von Natur aus mit satter Mittellage und prägnanter Höhe gesegnet, war sie vom ersten Augenblick an stimmlich wie szenisch hochpräsent und steigerte sich im Verlauf des zweiten Aktes in einen wahren Rausch. Damit einhergehend die tiefe Identifikation mit der breiten emotionalen Palette dieser Figur, sichtbar auch und vor allem im dritten Akt, der ja der Darstellerin bekanntlich eine weitestgehend stille, aber umso differenziertere Präsenz abverlangt.
Ergänzt wurde diese Solistenriege durch Hrisinir Damyanov und Stefan Vladimirov als Gralsritter sowie Rada Toteva, Ina Petrova, Krasimir Dinev und Kalin Dushkov als Knappen, allesamt mit viel Inbrunst und der nötigen Verve auch für diese kleineren Rollen. Die Blumenmädchen Lyubov Metodieva, Mariela Alexandrova, Ina Petrova, Mirela Yabandzhieva, Angelina Mancheva und Alexandrina Stoyanova-Andreeva waren zunächst als amazonisch gewandete Einzelkämpferinnen unterwegs, bevor sie im weiteren Verlauf zu mehr Homogenität fanden – deutlich verbessert gelang dies dann in der Derniere. Die im Programmheft ungenannt gebliebene Stimme aus der Höhe wurde jeweils von Blagovesta Mekki-Tzvetkova mit warmem Mezzo beigesteuert.
Als weiterer – und im Falle des Parsifal unverzichtbarer – Pluspunkt dieser Aufführung erwiesen sich die Chöre, allen voran die Gralsritter. Mögen andere Häuser zahlenmässig vielleicht umfangreichere Heerscharen auf die Bühne schicken, an Klanggewalt und Schönstimmigkeit kann es der Chor der Oper Sofia wohl mit jedem anderen aufnehmen. Wie schon durch die Bank bei den Solisten, ist auch hier die bemerkenswert deutliche Aussprache des ja doch ungewohnten deutschen Idioms besonders hervorzuheben und zeugt von der langen und intensiven Probenarbeit in den Monaten der Vorbereitung. Mit dabei auch der Kinderchor des bulgarischen Rundfunks, mit jubelnder Höhe und jugendlicher Unbeschwertheit von der Erlösung kündend.
Die Grundzüge seiner Inszenierung hat Plamen Kartaloff im Programmheft ausführlich skizziert. Für ihn ist diese Oper ein Abbild unserer Beziehung mit der spirituellen Welt. Dies werde vor allem durch die Mystik der Musik getragen, welche es daher für den Regisseur zu visualisieren gelte. Hiermit setzt er ein deutliches Zeichen gegen das Regietheater und vertraut auf die Kraft der Abstraktion und Reduktion, wie sie ja auch für Wagners Partitur kennzeichnend ist. Daher spiele dieser Parsifal ausserhalb von Raum und Zeit, als Spiegelung des unendlichen Prozesses von Geburt, Leben, Tod und Reinkarnation – ein Mysterium der parallelen Welten.
Dieser Ansatz wird in dem von Sven und Ivana Jonke vom Designerteam Numen entworfenen Bühnenbild weitgehend reflektiert. Es besticht durch den sorgsam gewählten Einsatz einfachster Mittel und Strukturen, die im Verlauf des Stücks teils überraschende Lösungen ermöglichen. Wenn sich der Vorhang nach dem Vorspiel hebt, beherrschen eine Reihe herabhängender, kunstvoll verknoteter Stoffbahnen eine Bühne, die in mystisches Blau getaucht ist, welches sich alsbald lichtet und ruhig bewegten, von ferne an Nordlichter gemahnenden Hintergrundprojektionen weicht. Die Knappen meditieren regungslos im Lotossitz und werden von Gurnemanz, wie alle Gralsritter ganz in weiss gekleidet (die geschmackvoll aufeinander abgestimmten Kostüme wurden von Stanka Vauda entworfen), zum Dienst gerufen. Dieser bleibt für lange Zeit die einzige individuelle Persönlichkeit in einem grossen, gesichtslosen Kollektiv von Gralsrittern, die kaum je die weiten Kapuzen ihrer weissen Ordensgewänder zurückschlagen und sich als ein Block bewegen, der sichtlich sein Innerstes vor der Aussenwelt abschirmen möchte. Eine Art okkulter Loge also, und in der Tat liegt für das bulgarische Publikum die Assoziation mit der „Weissen Bruderschaft“ des Petar Dunov auf der Hand, einem anthroposophisch beeinflussten Geheimbund des 20. Jahrhunderts, der auch heute noch im öffentlichen Bewusstsein eine wichtige Rolle spielt. Als diese Menge den Blick auf Amfortas freigibt, ist das Leiden des Gralskönigs vom ersten Moment an nicht nur am blutverschmierten Gewand sichtbar, sondern wird durch die Ausdruckskraft von Atanas Mladenov schier körperlich spürbar – dieser Mensch hat wirklich Schmerzen! Auf dem Weg zum morgendlichen Bad bleibt der Zug noch einmal im Hintergrund stehen, und Amfortas lauscht dem ersten Teil der Gurnemanzerzählung, regungslos zunächst, bis ihm die Verheissung einer Erlösung durch den „reinen Toren“ neue Kräfte zu verleihen scheint. Kundry ist da bereits lange zurück aus arab’schen Landen, wahrlich ein „wildes Weib“ mit wirrer Mähne und leopardengeflecktem Kleid, meist am Boden liegend, und nur beim Auftritt des Amfortas wie durch magnetische Gegenpolung ruckweise von ihm weggestossen. Während Gurnemanz die Geschichte des Grals erzählt, zeigen sich erstmals die postulierten Parallelwelten im überraschenden Einsatz der Drehbühne: schon optisch durch das stimmungsvoll ausgewogene Lichtdesign von Andrej Hajdinjak als zweite Ebene charakterisiert und durch die Drehbewegung noch verstärkt, sehen wir konzentrierte Rückblicke auf Schlüsselstellen der Vorgeschichte: Titurels Gralskönigtum, Klingsors Selbstentmannung, sein Zaubergarten als erotischer Gegenentwurf zur Brüderschaft, das Eindringen des Amfortas in denselben samt Verlust des heiligen Speeres und seine Verwundung, als er in Kundrys Armen liegt. Der Schwan nimmt die Gestalt eines durch den Pfeil verwundeten Tänzers an, der bei „siehst du den Blick“ noch einmal überraschend zum Leben erwacht – auch dies eine ungewöhnlich intensive Lösung. Statt aber zur Einsicht zu reifen, gefällt sich Parsifal weiterhin in bewusst jugendlich gehaltenem Auftreten und strotzt geradezu vor Energie, die er später im zweiten Akt noch zu einer veritablen Prügelszene mit den im Zaubergarten angetroffenen Helden nutzen wird.
Die Verwandlung der verworrenen Natur in die geordnete Welt der Gralsburg erfolgt auf verblüffend einfache Weise: die Knoten lösen sich, die Stoffbahnen hängen nunmehr senkrecht herab und bilden die rückwärtigen Säulenstrukturen des Gralstempels, auf denen mittels unaufdringlich fliessender Videoprojektionen die Ereignisse der Gralsszene schemenhaft verdoppelt werden und das Geschehen dadurch – wie in einem Spiegelsaal – an räumlicher Tiefe gewinnt. Parsifal nimmt die Beobachterstelle ein, die zuvor von Gurnemanz besetzt war, und folgt den Ritualen der Gralsbrüder, welche zunächst, eng aneinander geklammert, in pfeilförmiger Schlachtordnung auftreten, bevor sie, rücklings im Kreis auf den Boden liegend, das Wunder der Gralswerdung feiern. Der Gral nämlich wird nicht enthüllt, er geschieht – ein wahrhafter coup de theatre: senkrecht im Kreis herabhängende und am Boden befestigte Seile werden durch die einsetzende Rotation der Drehbühne nach und nach ineinander verdrillt und auf diese Weise zur geometrischen Illusion eines gigantischen Kelchs geformt – ästhetisches Erlebnis nicht nur für den Mathematiker, der sich so manche trübe Stunde mit diversen Kegelschnitten abgequält hat. Erst zum Schluss des Rituals hin löst sich das strenge Kollektiv der Brüderschaft auf, und einzelne Gralsritter beginnen damit, die Knoten der ursprünglichen natürlichen Anordnung wiederherzustellen, so dass sich Parsifal zum Aktschluss plötzlich wieder verwundert-ratlos in der anfänglichen Szenerie wiederfindet, während sich im Hintergrund Kundry bereits auf den Weg in den Zaubergarten macht.
Klingsors Welt erscheint zunächst recht technokratisch geprägt. Zum Weckruf an Kundry steht er auf einer bühnenbeherrschenden Metallkonstruktion und experimentiert mit einer optischen Anordnung von Spiegeln und Lasern, um schliesslich – mit viel Mühe und mehrfach geknickt – einen grünen Lichtstrahl bis hinauf in die Höhen des Schnürbodens zustande zu bringen: seine spirituelle Verbindung zu höheren Mächten muss artifiziell und indirekt bleiben; umso handfester allerdings seine Auseinandersetzung mit Kundry. Für die nachfolgende Blumenmädchenszene weicht dieses Podium einem gigantischen aufblasbaren und daher immer wieder aufs Neue aufwallenden roten Kissen, auf dem sich die Verführerinnen tummeln und durch das Schwenken roter Gazeschleier auf sich aufmerksam machen. Parsifal taucht ein in die plastisch gemachten Wogen der Versuchung, ohne darin unterzugehen. Leider verliert sich der Auftritt Kundrys, jetzt als rothaariger Vamp gekleidet, zunächst etwas; erst als sich die Bewegungen des Kissens nach und nach beruhigen, kann die grosse Szene zwischen ihr und Parsifal ihre ganze Wirkung entfalten – im Meer erotischer Leidenschaften gefangen suchen beide immer wieder neue Wege zueinander. Als sie sich schliesslich zum erleuchtenden Kuss finden, steht Klingsor im Hintergrund wurfbereit parat, zieht allerdings unverrichteter Dinge wieder von dannen. Während Kundry sichtlich mehr und mehr am ewig sich wiederholenden Scheitern ihres Daseins verzweifelt, findet Parsifal zu seiner Sendung, und Klingsors finaler Speerwurf – wie so oft während einer kurzen Verdunkelung nur angedeutet – bleibt vergebens: das Luftkissen sinkt in sich zusammen, die Macht des Zauberers ist gebrochen.
So sehr sich Parsifal zunächst beinahe kindisch über die Rückgewinnung des Speeres gefreut hat, so sehr leidet er während des Vorspiels zum 3. Akt an dessen Gewicht, wenn er in der Manier des sich auf dem Kreuzweg Befindlichen damit an einzeln vor sich hinsiechenden Gralsrittern vorbeiwankt. Kundry ist zur Büsserin im langen schwarzen Haar gereift, nur einige rote Strähnchen erinnern noch an ihre parallele Existenz. Die Erkenntnisszene, Kundrys Taufe und der Karfreitagszauber werden wieder durch jetzt teilweise beinahe psychedelisch eingefärbte Videoprojektionen untermalt, welche dem Bühnenraum unaufhörlich neue Nuancierungen verleihen – was für ein Unterschied zur Blümchentapete im Wiener Wagnerspital! Die letzte Überraschung dann nach der nochmaligen Verwandlung zum Gralstempel: anstelle der real baumelnden Seile aus dem ersten Akt baut sich die Silhouette des Kelchs jetzt wundersam aus Laserstrahlen auf – die Gralswerdung lässt uns endgültig in die Welt des Metaphysischen eintauchen. Hier kann sich die Wunde des Amfortas schliessen, hier sinken die Gralsritter vor dem Mysterium auf den Boden, hier kniet schliesslich auch Kundry, jetzt ganz in Weiss auch sie, bevor sie – entseelt oder anbetend, das bleibt offen – gänzlich niedersinkt.
In Summe also eine Wiedergabe, welche der Komplexität des Stücks in ihren originellen Momenten mehr als gerecht wird, und zugleich in ihrer Schlüssigkeit und Innigkeit beglückt. Und so verliess man das Theater dankbar für eine kathartische Erfahrung wie in unzähligen vorhergegangenen Aufführungen kaum je erlebt. Plamen Kartaloff und seinem Team ist hier ein Meisterstück gelungen. Auf die am 13. bzw. 20. August geplante Ausstrahlung im bulgarischen Fernsehen darf man sehr gespannt sein, und hoffen, dass diese Produktion bald wieder aufgenommen wird und viele Wagnerianer dann den Weg nach Sofia finden.
Peter Reichl